20. September 2013

Die vertrauenswürdige Wählerschaft
 
Letztens habe ich mich andeutungsweise als politikverdrossen offenbart. Ich vertraue keiner Politikerin besonders. Es gibt ja eine Reihe großer Probleme: die globale Erwärmung, die sich öffnende Schere zwischen Arm und Reich, die nukleare Proliferation, die modernen Überwachungsmöglichkeiten und -praktiken, die moralisch-politische Überforderung der arabischen Welt, die weltweite Privatisierung von öffentlichen Gütern, die europaweite Zunahme von Fremdenhass. Was tut die Politik zur Lösung dieser Probleme?

Oder wollen wir überhaupt Lösungen? Kann man der Wählerschaft vertrauen? Viele Leute sind ja gar nicht gegen Fremdenhass, sondern pflegen ihn schon lange selbst. Die Fremden sind an unseren Problemen schuld und die Unterdrückung oder Beseitigung jener würde diese gleich mitbeseitigen. Außerdem hassen die Fremden uns auch. Die Privatisierung öffentlicher Güter bedeutet vielen Leuten gar nichts, solange sie ihnen regelmäßig zu einem vernünftigen Preis zur Verfügung gestellt werden. Sie könnten auch steuerfinanziert und dadurch kostenlos sein, aber das bedeutete ja eine Steuererhöhung, und kostenlos ist sowieso Spinnerei. Die arabische Welt soll sich einfach zusammenreißen und sich an unserer Lebensweise orientieren. Überwachung stört nur die, die etwas zu verbergen haben, es sei denn, sie tritt direkt sichtbar auf, wie beim Nacktscanner. Ansonsten sichern wir uns mit Geheimnummern ab, die uns die Bank per unverschlüsselter SMS schickt. Soweit herrscht also wenig Interesse an Problemlösungen.

Die Atombombe soll natürlich keiner haben. Deshalb boykottieren wir Gemüse aus Israel und erwarten von unserer Regierung das Gleiche, damit der Iran aufhört, an der Bombe zu bauen.

Dass die Reichen immer reicher werden, ist auch empörend, vor allem wenn sie von ihrem vielen Geld in den Puff gehen. Dass die Armen immer ärmer werden, stimmt allerdings nicht, wenn man sich einmal frühere Zeiten ansieht. Heute darf kein Erwachsener in Deutschland gezwungen werden, sich gebrauchte Kleidung zu kaufen, und auch die meisten Afrikaner können sich nagelneue chinesische Polyester-T-Shirts leisten. Aber die Schere klafft und wir machen uns Sorgen um die Armen. Also um unsere Armen. Das sind, je nach Perspektive, die arbeitenden Aufstocker, aber nicht die Arbeitslosen, die Rentnerinnen, aber nicht die Jungen, die Deutschen, aber nicht die Griechen und keinesfalls die Neger, die Menschen in der Dritten Welt, aber nicht die Griechen, die chronisch Kranken, aber nicht die Behinderten. Ach, es ist manchmal faszinierend, welche feinen Unterscheidungen da getroffen werden. Natürlich gibt es die Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens, aber Hand in Hand mit ihr geht die Frage, welche Bedingungen man dafür erfüllen soll. Eigentlich müssten wir aufhören, die Einen wie Zitronen auszupressen, damit sie möglichst billig produzieren, und die Anderen so kurz zu halten, dass sie möglichst billig einkaufen müssen. Aber das bedeutete große Veränderungen, zu denen wir nicht bereit sind.

Da wir nicht zu großen Veränderungen bereit sind, darf sich das Klima auch nicht sehr ändern. Das tut es trotzdem, aber wir wollen es nicht wissen. Wir steuern auf die größte Hungersnot seit 115000 Jahren zu. Damals begann die letzte Eiszeit und den Homo sapiens gab es noch nicht. Kriege um die verbliebenen Ressourcen werden hinzukommen. Was tun? Am besten nichts. Denn um die schweren Schmerzen der Großen Veränderung zu umgehen, müssten wir sofort Dinge unternehmen, die für uns auch schon eine große Veränderung wären und Schmerzen bedeuteten. Wir müssten gewissermaßen den Fuß amputieren, um das Bein zu retten. Dazu sind wir aber nicht bereit.

Deshalb brauchen wir eine Regierung, die nichts tut.

Die derzeit im Bundestag vertretenen Parteien verstehen sich alle auf das visionslose Klein-Klein, hinter dem man Tatenlosigkeit verbirgt, und betreiben es unterschiedlich konsequent. Man muss aber wirklich sehen können, dass die Regierung nichts tut. Das wollen auch diejenigen, die Politik sowieso für eine schmutzige Angelegenheit halten. Darum wird die CDU gewinnen.

 

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