17. September 2013

Es ist ein Kreuz, oder zwei
 
Zur Bundestagswahl fällt mir außer abgedroschenen Kalauern wenig ein. Es scheint mir nicht um viel zu gehen. Ein bisschen beneide ich da die USA, wo ein Präsidentschaftskandidat Bush jun. sagt, er wolle "mehr Eisen" in der Außenpolitik, und nach der Wahl flugs zwei Kriege anfängt, oder wo ein Präsidentschaftskandidat Obama sagt, er wolle alle AmerianerInnen krankenversichern, und nach der Wahl direkt auf eine sozialistische Weltdiktatur zusteuert, so jedenfalls gewisse Befürchtungen.

Bei uns dagegen:

1949 Adenauer: Mer losse der Bundesrejierung in Bonn. Schumacher: Die Entscheidungen werden trotzdem in Frankfurt getroffen. Adenauer gewinnt und vollendet die deutsche Teilung.

1953 Adenauer: Die Kriegsgefangenen müssen Heimkehrer werden. Ollenhauer: Die alten Nazis können auch in Sibrien bleiben. Adenauer gewinnt und beschließt eine sozialistische Rentenreform.

1957 Adenauer will die Bombe, Ollenhauer lieber Experimente. Adenauer gewinnt und guckt zu, wie die Mauer gebaut wird.

1961 Brandt: Ich bin Kennedy. Adenauer: Hauptsache, Erhard wird nicht Kanzler. Adenauer gewinnt, und Erhard wird Kanzler.

1965 Erhard: Ich hätte noch zwei, drei Währungsreformen in petto. Brandt: Kennedy lebt. Die Leute brauchen beides nicht und wählen die Beatles.

1969 Brandt: Mehr Demokratie wagen. Kiesinger: Die Notstandsgesetze habt ihr aber mitgetragen. Brandt gewinnt und erkennt die DDR an.1972 Barzel: Geht doch nach drüben. Brandt: Olympia für alle. Brandt gewinnt und verbietet das Autofahren.

1976 Schmidt spricht von Sachzwängen, Kohl langsam. Schmidt gewinnt und führt einen kleinen Bürgerkrieg.

1980 Schmidt: Die Verfassung gilt für alle außer mir. Strauß: Welche Verfassung? Schmidt gewinnt und bereitet den Atomkrieg vor.

1983 Kohl will die Wende, Vogel will Akten sortieren. Kohl gewinnt und verteidigt die Sowjetunion und deren Atomindustrie.

1987 Rau tut lieb, Kohl tut dumm. Kohl gewinnt und schafft die Schlesier ab.

1990 Kohl singt noch mal seinen Hit von der Wende. Lafontaine ist die zu teuer. Kohl gewinnt und schafft das Asylrecht ab.

1994 Scharping will Brandt sein, Kohl Adenauer oder, noch besser, Bismarck. Kohl gewinnt und schafft die Deutsche Mark ab.

1998 Kohl: Weiter so. Schröder: Weiter so. Schröder gewinnt und führt Krieg, damit er nicht an Auschwitz schuld ist.

2002 Schröder: Wir brauchen eine ruhige Hand. Stoiber: Wir brauchen die Hand am Abzug. Schröder gewinnt und definiert die Arbeitslosigkeit weg.

2005 Merkel: Die Steuer muss einfacher werden. Schröder: Ich lasse mir doch von einer Frau nichts sagen. Merkel gewinnt, aber nicht richtig, und verschrottet alte Autos.

2009 Merkel: Wir brauchen mehr Atomkraft. Steinmeier: Wir können den Atomstrom doch auch aus dem Ausland kaufen. Merkel gewinnt und verschrottet Griechenland.

Das waren meistens ziemlich langweilige Wahlkämpfe mit unbedeutenden Themata, außer 1957, 1972 und 1990. Manchmal ging es um überhaupt nichts. Wie dieses Jahr.

Was soll ich also wählen?

Die meisten wichtigen Entscheidungen werden ohnehin mitten in der Legislaturperiode gefällt, ohne dass wir gefragt werden. Manchmal geschieht Wesentliches plötzlich und kann in keinem Wahlkampf vernünftig vorbereitet werden, wie der Mauerbau, die Ölkrise oder Neinilewwen. Manches wird aber auch von der Spitzenpolitik als "zu wichtig für den Wahlkampf" erachtet. Da sollen wir nicht (mit)entscheiden. Verständlich ist das ja. Wir wollen schließlich schon seit langem mehrheitlich die Atomkraft abschaffen und die behalten sie lieber bei. Wir wollen seit langem mehrheitlich die Todesstrafe wiederhaben und die geben sie uns nicht.

Was soll ich also wählen?

Soll ich nach Personen wählen, also jemanden, dem oder der ich besonders vertraue? Leider gibt es da niemanden. Wer hat uns verraten? Sozial- oder Christdemokraten. Es heißt ja, nur die SPD könne soziale Einschnitte durchsetzen, ohne das halbe Land gegen die Regierung aufzubringen. Die parlamentarische Opposition findet ja höchstens, dass die Schnitte nicht tief genug gehen. Umgekehrt stammen die wichtigsten Umweltgesetze aus der Ära Kohl. Kriege dagegen kann man wohl nur mit Beteiligung der Grünen beginnen und Finanzen mit der Linken sanieren. Das alles lässt sich aber nicht so sehr verallgemeinern, dass man einfach die Partei wählen müsste, die man am scheißesten fände. Dann käme die NPD auf siebzig Prozent und würde trotzdem nicht die Asylverfahren vereinfachen oder abschaffen. Nein, die FDP hat eben auch den Großen Lauschangriff gekippt, die CDU die Herdprämie eingeführt, die Grünen haben den Atomausstieg eingeleitet, und die SPD stützt regelmäßig die Rechte derer, die Arbeit haben.

Was soll ich bloß wählen?

Vielleicht eine kleine Partei. So eine, die sich noch über jede einzelne Stimme freut und jedem ihrer Wähler hinterher ein kleines Dankeschön schickt. Ich hätte gern einen schönen Topf für die mir zugeflogene Birke, der es in meinem Balkonkasten zu eng geworden ist. Oder ein neues Portmonnee und etwas Geld zum Hineinstecken. Oder einen Ehering und dazu jemanden, der ihn mir ansteckt.

Wahrscheinlich tritt diese Partei wieder nicht in meinem Bundesland an.

 

Neueste Einträge
Deine Maus  * Lorbeerbekränzt  * Sperrmüll  * Wenn der König türmt  * Eindrücke
mehr
- - - - - - - - - - - - - - - - - - -

Suche

   
- - - - - - - - - - - - - - - - - - -

<<     >>
<<  "Politik"  >>

- - - - - - - - - - - - - - - - - - -

Blogroll
Chronos Krumlov   Harry Oberländer
Timon of Athens   William Shakespeare
Milkman   Anna Burns
Was ist Populismus?   Jan-Werner Müller
The Collector of Treasures   Bessie Head

Rockroll
Artikulation   György Ligeti
Thick as Thieves   Larkin Poe
Like Water   Trillion
Pithoprakta   Iannis Xenakis
Little War, Little Less   James Apollo
- - - - - - - - - - - - - - - - - - -

zhanna (a) peripatetik.de