1. Oktober 2013

Ein erhebendes Erlabernis
 
Die Demokratie lebt nicht in Wahlen. Es sind Ausschüsse, in denen die demokratische Verfasstheit unserer Gesellschaft, die "freie Wirtschaft" natürlich ausgenommen, am stärksten zum Ausdruck kommt. Ich habe letztens als Elternvertretung an einer schulinternen Fachkonferenz für Werte und Normen teilgenommen und vor allem über die Frage beraten, ob der Schulleiter gebeten werden soll, das Fach in das Angebot für die 5. - 7. Klasse aufzunehmen.

Werte und Normen ist ja in reformbewegten Zeiten, die für die Schule eigentlich nie aufhören, erdacht worden, um der zunehmenden Zahl von SchülerInnen, die ihre menschenrechtliche Glaubensfreiheit als Religionsferne interpretieren wollen, eine Alternative zum Fach Religion zu bieten. Nach verlachten Anfängen hat sich das Fach so weit in Richtung Philosophie entwickelt, dass der Leiter dieser Fachkonferenz, ein studierter Philosoph, meint, ein Fach namens Philosophie, das an dieser Schule gegenwärtig ebenfalls unterrichtet wird, nicht unbedingt zu brauchen.

Zurzeit ist es in den unteren Klassen so, wie es auch an der Grundschule ist. Der Religionsunterricht wird, wie es das Gesetz vorschreibt, von der Kirche gestaltet. Wer nicht teilnehmen will, und das muss wegen des Grundrechts auf Religionsfreiheit niemand, bleibt, wegen der Schulpflicht, in den jeweiligen Stunden trotzdem im Gebäude und nimmt, wegen der lehrerseitigen Aufsichtspflicht, am Unterricht in einer Parallelklasse teil, sei es in Deutsch, Physik oder Sport. Was dort gerade getan wird, schließt nicht unbedingt an den Unterricht an, den das betreffende Kind in der eigenen Klasse hat, und die Tätigkeit des Kindes wird nicht benotet. Es muss dort also hauptsächlich, außer in Sport, rumsitzen und die Zeit abwarten. Diese Möglichkeit wird an dieser Schule nur von Einzelnen genutzt, obwohl etwa ein Fünftel der SchülerInnen konfessionslos ist und nur knapp über die Hälfte der den Unterricht bestimmenden Konfession angehört. Vom Fach Werte und Normen wäre dagegen zu vermuten, dass es einigen Anklang fände.

Es wurde in der Fachkonferenz angeregt diskutiert. Auch die beiden SchülervertreterInnen aus dem 12. und dem 8. Jahrgang sprachen fundiert mit und wurden respektvoll angehört. Wir waren uns schnell einig, dass wir ein Werte-und-Normen-Angebot für die unteren Klassen wünschen und diesen Wunsch dem Schulleiter unterbreiten wollen. Da dieser aber nicht nur offenbar allein entscheiden kann, sondern auch, wie sein Vorgänger, der das gleiche Ansinnen vor einigen Jahren abgelehnt hat, Religionslehrer ist, allerdings von einer anderen Konfession, wollten wir starke Argumente haben. Eines hatte eine Lehrerin in Form des entsprechenden Erlasses mitgebracht, in dem steht, dass ab einer bestimmten Zahl von SchülerInnen, die den Religionsunterricht ablehnen, Werte und Normen angeboten werden muss. Ein anderes, und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen, brachte eine der SchülervertreterInnen, indem sie anbot, sich umzuhorchen, wie groß die Nachfrage ist. Bisher vermuten wir ja nur, dass eine vernünftige Alternative zu Religion auf breiteres Interesse bei den SchülerInnen stieße.

Natürlich, dachte ich, das sind doch die Leute, auf die es ankommt. Und da sitzt eine Siebzehnjährige, die die Dinge in die Hand nimmt. Wieder einmal möchte ich Platon widersprechen: die heutige Jugend ist nicht schlecht. Ich habe Vertrauen zu ihr.

Was die Fachkonferenz betrifft habe ich den deutlichen Eindruck, den ich mit der anderen Elternvertreterin teile, dass dort etwas bewegt wurde. Diese Ecke der Welt ist ein kleines bisschen anders, als sie es zwei Stunden vorher war. Und diese Veränderung hat nicht der Konferenzleiter allein bewirkt, auch nicht allein die LehrerInnenseite, sondern wir alle zusammen. Es waren für mich die schönsten Stunden der Woche. (Tut mir leid, Hasi.)

 

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