2. Oktober 2015 Ein Amtstermin im Rathaus Heute habe ich mich mit Gebre bei der Frau vom Amt im Amt getroffen, um den Untermietvertrag zu unterschreiben. Ich hatte mir im Schreibwarenladen einen Vordruck besorgt und mich für einen eigenen Text daran orientiert. In diesem Vordruck hat der Untermieter nur minimale Rechte. Das hatte geändert werden müssen. Dann hatte ich gekürzt, so gut es ging, damit der Arme mit seinem wenigen Deutsch nicht so sehr überfordert wird. Schließlich hatte ich einige Sätze zum freundlichen und nachsichtigen Umgang miteinander hineingeschrieben, eine Art Verfassung für die Wohnung. So etwas ist in einem Mietvertrag nicht üblich, das weiß ich, aber ich halte es für gut, wenn man sich auch auf gewisse nicht einklagbare Grundsätze einigt. Wir kennen einander ja kaum. Beim Amt kam ich einige Minuten zu spät, aber eine dreiviertel Stunde vor Gebre an. Seine Freunde hatten mir schon erklärt, dass man in Deutschland nicht mehr als fünf Minuten nach der Zeit erscheinen darf. Sonst zeigen die Deutschen auf die Uhr. Seinen Vorteil aus diesem Wissen ziehen wollte Gebre heute nicht. Dadurch hatte ich Gelegenheit, das Treiben im Amt ein wenig zu beobachten. Ständig stehen Leute mit dringenden Angelegenheiten in der Tür. Manche waren gerade da und kommen mit etwas wieder, das sie besorgen sollten. Man kriegt die Tür schon zu, aber muss es nicht. Der Umgangston ist trotz allen Nöten ruhig und freundlich. Als Gebre etwas nicht verstand, war gleich ein anderer Flüchtling zugegen und erklärte es auf arabisch. Gebre machte dazu ein freundliches Gesicht. Ob er arabisch kann, habe ich noch nicht begriffen. Wir unterschrieben dann den Vertrag und hinterlegten eine Kopie bei der Frau vom Amt. Weder sie noch Gebre hatten ihn gelesen. Der Frau vom Amt war es nur wichtig, wieviel Geld sie an wen zahlen muss. Sie hatte einen Maximalbetrag errechnet, bis zu dem das Amt die Miete übernimmt, und ihn im Vertrag eingetragen. Ich versuchte, ihr zu erklären, dass dieser Betrag zu hoch sei, da ich ja nicht die halbe Wohnung vermiete, sondern nur das größte von drei Zimmern, aber für solche Details hatte sie keine Zeit. Für mich ist das ja auch gleich. Ich wollte es nur gesagt haben. Manchmal will ich etwas einfach nur sagen. Auf dem Weg hinaus sprach Gebre von einer Matratze, die er transportieren wird. Ich verstand nicht, wann und wohin. Wenn er hierher kommt, wird er sehen, dass mein Ältester im Vorhaben, sein Zimmer zu renovieren, die ganze Wohnung auf den Kopf gestellt hat. In der Küche stapelt sich ungewaschenes Geschirr, das er gesammelt hatte, im Bad ungewaschene Kleidung, überall Möbel, die ihm jetzt im Weg sind. Nachher sollen noch Umzugskartons dazukommen. Gebre hatte heute, wie jeden Tag, eigentlich Schule. Er will ja Deutsch lernen. Er soll auch, denn das Amt bezahlt ihm diesen Unterricht. Nun hatte er für unseren Termin eine Freistellung bekommen, wie auch ein Freund, der ebenso im Rathaus zu tun hatte, und beriet mit diesem, ob die Freistellung für den ganzen Tag gelte. Ich hätte gedacht, sie eilen jetzt sofort zur Schule, um noch so viel wie möglich mitzukriegen. Die Eritreer gelten im öffentlichen Vorurteil ja als hoch motiviert. Aber vielleicht ist der Unterricht nicht gut. Ihre Freistellungen wiederum waren nach wenigen Minuten schon sehr alte Zettel. Die Freuden des Lochens und Abheftens haben Gebre und sein Freund offenbar noch nicht kennen gelernt. Nachdem wir uns voneinander verabschiedet hatten, kaufte ich auf dem Markt Äpfel der alten Sorte Jakob Lebel, auf ihre Weise auch eine Minderheit.
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