29. März 2016 Caro-Kaffee Wir Deutschen konnten die Leichenberge auf dem Boden des Mittelmeers nicht mehr ertragen. Worauf die Briten antworteten: Komisch, wir können das. Jetzt geht es uns wieder besser, und jetzt wollen auch wir, dass mehr Flüchtlinge sterben. Ob an unseren Grenzen oder hinten in der Türkei, ist dabei nicht wichtig. Deshalb haben wir einem Abkommen der EU mit der Türkei zugestimmt, dessen Inhalt jetzt, nach kanpp zwei Wochen, schlecht zu recherchieren ist. Mir scheint, die Medien schrecken davor zurück, alle neun Punkte des Abkommens einmal aufzulisten, und picken sich lieber einige heraus. "Lügenpresse" habe ich nicht gesagt. Aber die gesamte Erklärung beider Vertragsparteien ist auf der Website des Europäischen Rats zu finden, weshalb ich sie hier nicht wiedergeben muss. Ich fasse Inhalt und Sinn des Abkommens mal in eigenen Worten zusammen: Ähm. Im Einzelnen: Für Europa ändert sich wenig. Wir nehmen alle Flüchtlinge auf, die aus der Türkei kommen, und prüfen zügig deren Ansprüche, hier zu bleiben. Ja, zügig. Das wird plötzlich nur noch Tage statt Monate dauern. Die ohne Ansprüche bringen wir kostenlos in die Türkei zurück, die jetzt, da, laut Erdogan, "Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit" dort "absolut keinen Wert mehr" haben, endlich ein sicherer Drittstaat ist. Falls von diesen Flüchtlingen jemand Syrer ist, nehmen wir im Austausch einen anderen Syrer aus der Türkei auf. Das ist das Prinzip der Geldwäsche. Aber insgesamt nur 72000 Menschen, also halb so viele, wie Zeugen Jehovas im Himmel leben werden. Für die Türkei ändert sich wenig. Sie nimmt Millionen von Flüchtlingen auf. Die EU verspricht ihr Geld für die Flüchtlinge. Gut, dessen Auszahlung wird jetzt beschleunigt. Die EU verspricht ihr noch mehr Geld für die Flüchtlinge, das vielleicht auch einmal ausgezahlt wird. Die Visumspflicht für TürkInnen, das ist tatsächlich eine Änderung, soll aufgehoben werden. Und die Beitrittsverhandlungen zur EU sollen erweitert werden. Was mich wundert, ist, dass um diese Lächerlichkeit so ein Gewese gemacht wird. Das ist doch Caro-Kaffee-Politik. In einem richtigen Abkommen verpflichten sich beide Seiten zu Leistungen, zu denen sie vorher nicht bereit waren. Unsere Politik will angeblich immer Fluchtursachen bekämpfen, begrenzt aber bloß die Fluchtmöglichkeiten. In einem richtigen Abkommen mit der Türkei würden wir uns verpflichten, mehr Flüchtlinge direkt von dort aufzunehmen. Nicht weil diese der Türkei schadeten, sondern weil viele Schlepper in Banden organisiert sind, die auch illegalen Drogen- und Waffenhandel betreiben, weil also die Einnahmen aus der Fluchthilfe die Kriminalität in der Türkei bestärken. Die Türkei würde sich in einem richtigen Abkommen verpflichten, zur NATO zu stehen und nicht unseren Feind, den IS, mit Waffen und Ölkäufen zu unterstützen. Dafür müsste sie natürlich zugeben, dass sie letzteres tut. Um das nicht zu müssen, steckt sie aber gerade alle möglichen Leute ins Gefängnis. Für die Flüchtlinge ändert sich durch das Abkommen auch wenig. Die Kosten der Flucht werden weiter steigen. Auch Menschen aus Afghanistan werden vermehrt über Libyen reisen, mit der Aussicht, vor Lampedusa zu ertrinken oder gleich in Libyen von IslamistInnen erschlagen zu werden. Für eine Reise über das Schwarze Meer und die Ukraine nach Moldawien scheint es keine verlässliche Schlepper-Infrastruktur zu geben, was ich bedauere. Es wird mehr Tote geben. Das wollen wir. Die Schlepper werden unter höherem Risiko noch mehr Geld verdienen. Wer weiß, vielleicht wollen wir das auch. Dieses Geld muss ja von irgendwoher kommen, und es kommt aus Afghanistan, Eritrea, Gambia und so. Es fehlt dann dort. Vielleicht nützt das jemandem. Aber Sarkasmus beiseite: Das Abkommen hat ein erklärtes Ziel, ein einziges, nämlich die Flüchlinge von der Reise nach Europa abzuschrecken. Sie sollen glauben, es sei hier nicht besser als in Syrien, Afghanistan oder Eritrea. Dafür aber, so oft ich mich beschwere, muss es hier noch viel scheißer werden.
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