27. November 2020 Blues und Boxen natürlich Es wird Zeit, dass ich über meinen eigenen Rassismus spreche. Vor kurzem dachte ich noch, ich sei dem Thema nur einmal begegnet, aber es lohnt sich, wie immer, den Blick in den Spiegel zuzulassen und auszuhalten, wie es zurückguckt, auch wenn der Spiegel schlecht geschliffen und im Hintergrund rostig ist. Vor vielen Jahren habe ich schon bemerkt, und danach vergessen, dass ich Afrikaner anders ansehe als andere Menschen. Wo die herkommen, kommt auch die Musik her, also kennen die sich gut in dem aus, was mich am meisten interessiert, also sind sie alle meine Freunde, war in etwa das damit verbundene Gefühl. Mit Musik meine ich hier den Jazz und die Popmusik US-amerikanischer Provenienz sowie die Anzugmusik ab der Renaissance, also alles, was stark und komplex rhythmisiert ist. Es ist mir klar, dass Melodik und Harmonik dieser Genres aus Europa stammen, aber sie sind mir nicht so wichtig. Die berechenbare strukturierende Rhythmik soll auf Seehandelswegen an die europäischen Fürstenhöfe und durch Fischer zum irischen Volk gelangt sein. Meine positive Zuschreibung ist natürlich genau so falsch und rassistisch wie pauschale Verachtung, und glücklicherweise habe ich nicht danach gehandelt. Allerdings wurde ich einmal von jemandem aus Sierra Leone bestätigt, der behauptete, Leute wie er seien musikalischer als solche wie ich. Auf meinen Protest hin erklärte er mir ruhig: "Wir singen den ganzen Tag, und ihr lasst singen." Ich habe oben "Afrikaner" gesagt, weil es mir um das geht, was im tiefen Inneren bei mir geschieht. Es ist mir durchaus klar, dass Dunkelhäutige (ich sage nicht "Schwarzer", weil der Begriff mehr Politik enthält, als ich vertreten kann, und das Wort sowieso eigentlich "CDU-Mitglied" bedeutet) nicht immer aus Afrika kommen, sondern gelegentlich auch aus Holstein, und ich meine nicht, mit dem Zug, sondern durch Geburt. Ich habe auch gelernt, dass ein Ostafrikaner (durch Geburt und Heimweh), der bei mir wohnt, ein dem meinigen völlig fremdes Verständnis von Musik haben kann. Mein entpersönlichender Blick hat sich inzwischen verändert, ist aber nicht weg. Erst neulich sah ich abends in die Runde von Balkons der Nachbarschaft und auf einem von ihnen einen dunkelhäutigen Mann stehen, bis ich merkte, wie lange ich ihn anstarrte. Aha, empfand ich, in meiner Nachbarschaft wohnt so einer, ignorierend, dass "so einer" schon in meiner Wohnung gewohnt hatte. Dann fiel mir ein, dass ich mit jenem Balkonsteher bereits zu tun gehabt hatte und wusste, wie er hieß. Sein Name klingt, als stünde er in einem Bilderbuch aus Kaisers Zeiten. Da will man sich gegen pauschale Vorstellungen wappnen, und dann gibt es sowas eben auch. Wie stark diese Vorstellungen bei mir immer noch sind, erlebte ich im Sommer beim Anblick eines jungen Dunkelhäutigen unauffälliger Statur, der in einem Café an einer Krücke ging, indem ich sofort dachte, er habe wohl eine Sportverletzung.
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