26. Mai 2023

Sperrmüll
 
Pappkartons vor den Haustüren: "Zu verschenken" einzelne Becher, Krimis, Schuhe, manchmal ein Satz schmucker Gläser, einmal, von mir mitgenommen, zwei interessante Romane. Da hat sich etwas Schönes und Unkompliziertes eingebürgert, finde ich. Und dann vor einer Haustür ein Bildschirm "zu verschenken", 30 Zoll, "funktioniert". Für mich? Anschlüsse? Wieviel Watt, also Stromverbrauch? Sofort ist nicht meine Methode, aber gut, ich habe ja auch eine Haustür. Und während ich schleppe, leuchtet mir die Sache langsam ein.

Jonas oder Julius oder Jakob, jedenfalls hat er lange gespart, der halben Verwandtschaft gezeigt, wie man online eine Fahrkarte kauft, und vergeblich erklärt, warum man im Internet mit seinen Daten vorsichtig sein muss, hat Hunde ausgeführt, das aber zusammen mit Lena/Luisa/Lara, bis ihr Freund es verdächtig fand, wie oft Lena sich mit Jakob traf, und sogar im Jugendtreff ausgeholfen, obwohl das gar nicht bezahlt wurde. Bis schließlich das Paket kam, direkt bestellt, weil es auf dem Weg vom Laden zu Boden fallen könnte und niemand für den Schaden aufkäme, bis vor die Wohnungstür, ohne Trinkgeld, weil weder der nach polnischem Recht angestellte und bezahlte, also eventuell bezahlte, Bote noch Jakob diese Tradition kennen, angeschlossen und: LoL, also "League of Legends", vielleicht auch etwas anderes mit "of" im Namen wie WoW oder CoD. Von da an saß Jakob dauernd vor diesem Bildschirm, so schien es, denn sich für Geld nützlich machen, das musste er jetzt nicht mehr, die Zeit hatte er nun frei, und außerdem war es in der Arbeitszeit ja auch nur um den Bildschirm gegangen, das konnte Jakob genau darlegen. Es war ihm noch nicht klar, um wie viel weniger in der Welt die Tatsachen galten als der Anschein. Dass seine Noten in der Schule nicht schlechter wurden, hier und da sogar besser, weil er zufriedener war, das konnte er zeigen. Dass sie, wenn er so weiter machte, nicht ins Bodenlose fielen und er seinen Abschluss nicht verfehlen würde, konnte er nicht beweisen. Also, na, bitte. Mit einem rebellischen Juzgendlichen, noch dazu mit einem, der sich gerade einen Traum verwirklicht, ist natürlich schwer diskutieren. Da werden bloß Türen geschlagen. Die totale Verweigerung. Und was soll man als verantwortliche Eltern machen, um der Vernunft Geltung zu verschaffen. Es wurde gedroht, angekündigt und, als jedwede Reaktion ausblieb, eine Tatsache geschaffen: der Bildschirm kommt vor die Tür, und der Nächste, der ihn haben will, nimmt ihn mit. Gearbeitet, gespart, von eigenem Geld gekauft, Jakob wird schon noch sehen, wie das ist, wenn er mal wirklich Geld braucht.

Ich halte mich nicht für für alles Übel in der Welt verantwortlich, aber an dieser Geschichte bin ich beteiligt. Ich hätte den Bildschirm vor jener Haustür stehen lassen sollen. Jemand anderes hätte ihn mitgenommen, und meine Hände wären sauber geblieben. Ich hätte dann keinen neuen, größeren, sparsameren Bildschirm gehabt, aber bisher ging es ja auch. Soll ich das Gerät zurückbringen? Das werde ich schweren Herzens unterlassen. Jakob, es tut mir Leid.

 

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