27. März 2012

Der neue Daoben
 
"Bundespräsident Gauck" will mir noch nicht so recht ins Ohr. Das wird sich aber sicher schneller legen, als bei seinen beiden Vorgängern, denn die Ausstrahlung, die jenen fehlte, hat er. Reden kann er auch. Ob seine Reden auf die Dauer zu sehr wie Predigten klingen werden und ob er weitere präsidiale Fähigkeiten hat, wird sich zeigen.

Sein Vorvorgänger hat seine Gesetzesprüfungskompetenz ausgenutzt, war aber mit salbungsvollen Reden überfordert und neigte zum Flennen. Sein direkter Vorgänger hat als erster den Atheismus als gleichwertige religiöse Haltung anerkannt und sich öffentlich über das aufkommende Phänomen der "Postdemokratie" besorgt, aber leider hat beides wenig Aufmerksamkeit gefunden, vielleicht weil die Fassade eines jungen Mannes, der erfolglos den Großvater spielte, zu sehr ablenkte.

Obwohl ich für die strikte Trennung von Staat und Kirche bin und es deshalb ablehne, dass Pfaffen hohe Staatsämter übernehmen, bin ich nicht unzufrieden mit der Wahl. Es hat aber diesmal eine der besten Gegenkandidatinnen seit Einführung des Amtes gegeben. Wie Hildegard Hamm-Brücher, deren Qualitäten bei der Wahl von 1994, indem man allein ihr Frausein herausstellte, weitgehend missachtet wurden, hat sich Beate Klarsfeld intensiv mit dem Nationalsozialismus auseinandergesetzt, was auch nach siebzig Jahren für Deutschland noch wichtig ist, zumal Neonazis jetzt in einigen Landesparlamenten sitzen. Klarsfeld hat außerdem bereits gezeigt, dass sie dem Bundeskanzler Paroli bieten kann. Mit ihr als Präsidentin wäre es sicher interessant geworden.

Aber natürlich war es ausgeschlossen, dass sie die Wahl gewänne. Deshalb frage ich mich, warum so ein Mensch für so eine Wahl überhaupt antritt. War es Eitelkeit? Wollte sie, mit einem Juden verheiratet, der Linken, die ein Antisemitismusproblem hat, einen Gefallen tun? Wollte sie mit ihrem Auftritt für eine Idee werben? Warum hat sie das nicht getan? Und schon fange ich an, doch an ihrer Eignung zu zweifeln.

Aufgefallen ist mir die weitgehende Abwesenheit von Sportlern und Schaupielern in der Bundesversammlung. Die Politik ist diesmal weit gehend unter sich geblieben. Eine unterhaltsame Ausnahme stellte Alice Schwarzer dar, die für die CDU abstimmte. Die CDU ist die Partei, die jahrzehntelang verhindert hat, dass Vergewaltigung in der Ehe strafbar wird. Sie ist andererseits die Partei, die sich am stärksten gegen Kopftücher einsetzt. Da muss man abwägen, und Alice Schwarzer hat das getan.

Bundespräsident Gauck zieht jetzt in sein Schloss. Das wird seine bisherigen Nachbarn erleichtern, die in den letzten Tagen nicht mehr ihre Balkons betreten durften, weil sie, nachdem Gauck jahrelang prima mit ihnen ausgekommen war, plötzlich als Bedrohung für ihn galten. Sie könnten ja schießen. Man muss sich klarmachen, dass die Nachbarn mit der Angelegenheit nichts zu tun haben. Sie haben den Mann ja nicht gewählt. Eigentlich waren nicht sie eine Bedrohung für den künftigen Präsidenten, sondern er eine Belastung für seine Nachbarschaft. Statt dort schwer Bewaffnete hinzustellen, wäre es ein Leichtes gewesen, den Designierten in ein Hotel zu bringen oder von mir aus in eine Kaserne, bis der Umzug vollbracht ist. Ich fürchte aber, Diedaoben denken nicht so weit, sondern denken, Wirhieroben können bestimmen, und wir bestimmen, was wir wollen, dafür sind wir ja Diehieroben. Ich wäre gespannt, wie das Herr Gauck selbst sieht.

 

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