8. Oktober 2013

Bei der Sicherheitspolizei
 
Manche Bücher sollte man nicht beim Zahnarzt lesen. Die Menschenwärter von Periklis Korovesis gehört dazu. Es handelt sich um eine autobiografische Schilderung der Folter unter der griechischen Militärdiktatur aus der Sicht eines Opfers.

Die Frage, warum DiktatorInnen immer foltern müssen, wird in diesem Buch nicht geklärt. Aber es wird sehr detailliert beschrieben, welche Methoden was mit einem anstellen. Schmerzen, Veränderungen des allgemeinen Körpergefühls, Ängste, Hoffnungen, Ohnmachten, Verwirrung, Isolation, das alles kommt hier vor und bildet den größten Teil der Erzählung. Als Mitglied eines demokratischen Sozialstaats finde ich interessant, was ein Mensch aushalten kann, wenn er es aushalten muss, und wie sich das Aushalten anfühlt. Vielleicht wird das Wissen darum einmal nützlich, falls ich das unausweichliche Ende unseres demokratischen Sozialstaats noch erlebe.

Trotzdem bin ich froh, dass das Buch nur 115 großzügig bedruckte Seiten umfasst und es nebenher auch um die Gefangenen in den Nachbarzellen und das Zusammenleben mit ihnen geht.

Wenn jemand so Gruseliges aus seinem Leben erzählt, hört man gebannt zu und möchte nicht stören. Trotzdem gilt auch hier, was ich einmal über Autobiografien gehört habe: nirgendwo wird mehr gelogen. Es wird ja in dieser Sorte Literatur regelmäßig eine Wahrhaftigkeit behauptet, die wir kaum überprüfen können.

Irritierend finde ich schon, wie flüssig sich dieser Bericht liest. Gut, der Autor ist Schriftsteller und zwischen Erlebnis und Veröffentlichung lagen zwei Jahre. Dennoch.

Bei einem der Verhöre sagt ein höherer Scherge der Junta, er sei bereits vor der Diktatur im Polizeidienst gewesen und werde es auch danach bleiben, egal wieviel er foltere. Einer anderen Quelle zufolge war dieses Zitat jedoch Teil einer öffentlichen Rede jenes Mannes. Vielleicht hatte er einen Sprung in der Platte, aber vielleicht trifft auch nur eine der Angaben zu, ist also im Buch redigiert worden.

Was mich wirklich davon überzeugt, einem mittelmäßigen Buch aufgesessen zu sein, ist aber etwas anderes. Die ersten Sätze lauten: "Es klingelte. Ich erwartete niemanden. Meine Frau und ich saßen zusammen mit zwei Freunden, die gerade von der Theaterarbeit kamen; wir unterhielten uns." Dann kommt die Sicherheitspolizei, bringt die Wohnung durcheinander und verhaftet den Mann, ohne dass die Frau einschritte. "Meinem Freund befahl er ebenfalls mitzukommen. Er war auch verhaftet." heißt es noch und es folgen 109 Seiten völlig ohne Familie und Freunde, mit Ausnahme des einen Satzes, in dem die Mutter etwas zu essen bringt. Die Versorgung mit Lebensmitteln obliegt nämlich, so steht es in einer Fußnote, den Angehörigen.

Da fragt man sich doch, warum bringt das nicht die Frau? Ist sie auch festgenommen worden? Macht Herr Korovesis sich einmal Sorgen um sie? Hat sie vielleicht die Wohnung sofort verlassen, als die Polizei kam, und ist seitdem auf der Flucht? Gibt es sie überhaupt oder wird sie nur genannt, damit wir den Mann, der bei der Folter ständig als "Arschficker" beschimpft wird, nicht für schwul halten? Und wie geht es dem Freund, der in den ersten Sätzen noch "zwei Freunde" war und dann ja ebenfalls verhaftet worden ist. Hat er überlebt?

Beim Lesen war ich naiv und dachte, einen vollständigen Bericht vom Erleben eines Gefolterten zu bekommen. Aber es kann doch nicht sein, dass er, bei all der Reflektion, die er im Buch anstellt, an überhaupt keinen Menschen denkt, sich keine Sorgen um die Seinigen macht und niemandem für das Essen dankbar ist. Oder doch?

 

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