17. September 2015

In Babel
 
Gestern war ich mit Spusi in Gebres Flüchtlingsunterkunft. Eigentlich wollte ich ihn, und vielleicht einen Freund, nur kurz zum Kochen einladen und dann gemütlich zu zweit einen Kaffee trinken. Es kam anders, gab aber trotzdem gemütlich Kaffee.

Die Unterkunft bestand aus zwei ehemaligen Büroetagen. Wir wurden an der Tür und auf der Treppe freundlich gegrüßt, aber ich hatte dennoch das Gefühl, ungebeten in anderer Leute Intimsphäre einzudringen. Oben guckten wir uns etwas hilflos um, und schon kam aus einem Raum am Ende des Ganges, der den Anschein einer Küche hatte, jemand, die deutschsprachig aussah. Sie zeigte uns Gebres Zimmer und holte ihn für uns aus dem Mittagsschlaf.

Nun konnte ich aber nicht gleich meine Einladung vorbringen, sondern wir sollten uns setzen, auf braun bezogene rollenlose Bürostühle. Gebre teilte sein Zimmer mit Hossein, einem angegrauten Palästinenser aus Syrien, der uns dieselbe Gastfreundschaft entgegenbrachte. Kaffee oder Tee? Ich dachte, das sind bestimmt Kaffeetrinker, und antwortete entsprechend. Also gab es Löslichen. Später stellte es sich heraus, dass zumindest die Eritreer dort bei nachmittäglicher Geselligkeit Beuteltee bevorzugen. Hätte ich auch genommen. Aber gut.

"Was heißt Kaffee?", fragte ich.

"Auf tigrinya?" Gebre guckte ungläubig.

"Ja, was heißt das?"

"Buhn", sagte er.

Da fiel es Hossein auf, dass das fast arabisch klang, wo es "Bun" heiße. Und von nun an lernte ich erste Wörter in gleich zwei Sprachen. Manches machte den Umweg über das Englische, von dem beide einige Brocken beherrschten. Spusi, schüchtern wie immer, machte nicht mit, sondern ein freundliches Gesicht.

Gebre hatte seit einem Monat vier Vormittage die Woche Deutschunterricht und sprach schon ganz gut. Seine später dazukommenden Landsleute, auch ganz junge Kerle, aber noch besser. Hossein dagegen tat sich sehr schwer mit dem Deutschen. Er bekam keinen Unterricht. Ich weiß nicht, wie das zusammenhängt. Gebre soll bald auch einen Monat lang Computerunterricht erhalten. Vielleicht ist seine Jugend der Grund. Aus ihm kann noch etwas werden. Der ältere Hossein hat ja schon seit langem eine Ausbildung, als Elektriker, und geht vielleicht bald in Rente. Ich spekuliere.

Beider Gastfreundschaft blieb nicht beim Kaffee stehen, sondern setzte sich mit Keksen und später mit Spiegeleiern fort. Die bekamen wir von Gebre auf einem gemeinsamen Teller mit Brot serviert. Hossein holte dann Gabeln, aber ich blieb bei den Fingern. Das arabische Wort für Ei klingt so ähnlich wie "Bart", das tigrinische muss man aus den Tiefen der Kehle hervorwürgen.

Dann kamen Gebres Freunde, und es wurde noch lustiger. Er bezeichnete Spusi und mich ihnen gegenüber als seine Familie. Das machte mich stolz. Sie versuchten, mir die Namen der einzelnen Finger beizubringen. Dann fummelte Gebre an meiner Hand, weil es um die Ringe beim Heiraten ging. Das war mir aber zuviel. Ich finde, er soll erstmal bei mir einziehen.

Schließlich musste ich los. Hossein brachte uns noch vor die Tür. Er wird morgen, am Freitag, wenn wir mit Gebre kochen, in der Moschee sein. Ich fand ihn nett.

 

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