30. Oktober 2007

Wieviele Straßen muss ein Mensch entlanggehen?
 
Vollständig lautet die Frage: Wieviele Innenstadtstraßen muss ein Mensch entlanggehen, ehe einmal er interessante Musik hören kann? Der Dylan-Kopist mit Sologitarre ist zwar so gut wie ausgestorben, aber einzelne Männer mit Quetschkommode sind nicht unbedingt besser, und die vereinzelte Band perfekt ausgebildeter ukrainischer Orchestermusiker, die „Jazz“ spielt, weiß nicht wirklich zu befriedigen.

Doch neulich war alles anders. Ich dachte zuerst, ich höre da eine Platte. Doch wer spielt schon mitten in der Fußgängerzone laut Platten mit orientalischer Musik? Hinter einem Menschenauflauf fand ich dann äl Jawala: zwei Saxophone, zweimal Schlagzeug, ein Bass. Zusammen brauchten sie nicht mehr Platz als der Werbestand von den Maltesern neben ihnen. Das gesamte Schlagzeug bestand aus einigen Handtrommeln und auf dem Boden liegenden Becken. Der Bassist saß auf einem winzigen Verstärker und spielte auf sechs Saiten gleichzeitig Bassnoten wie Akkorde, wodurch die Band einen ebenso vollen Sound hatte wie eine Gruppe mit Gitarre oder Klavier.

Was ich für orientalisch hielt, war südosteuropäischen Ursprungs und im weitesten Sinne Jazz. (Nicht „Jazz“, sondern Jazz.) In diesem weiten Sinn hatte der ganze Menschenauflauf Platz. Mir fiel auf, dass viele Türken im Publikum waren und viele Kinder, die nicht nur neugierig guckten, sondern konzentriert zuhörten.

Mit der Zeit wurde mir ein weiterer Unterschied zwischen dem Ersatzdylan und dieser Band klar. War jener ein Schüler oder Student, der seine Urlaubskasse aufbesserte, so waren dies Profis. Die waren tight, die konnten spielen, die hatten ein großes Repertoire eigener Sachen. Und wenn es auch Jazz war, hatten sie doch genug Sinn für Pop, um einige bunte Elemente in ihre Musik einzubauen: ein sehr perkussives Didgeridoo-Solo etwa oder ein mit viel Verständnis von klassischer Musik gespieltes Beethoven-Zitat.

Und sie wussten auch, warum sie auf der Straße spielten. Ich hätte ja nie für Südosteuropa-Jazz irgendwo Eintritt bezahlt. Aber so habe ich, wie alle anderen, eine der CDs gekauft. Das Geld, das am Ende im Instrumentenkoffer lag, wird für einige Tage gereicht haben.

 

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