24. Juni 2009

Mein Schattenkabinett, Teil 1
 
Kaum ist die Europawahl über die Bühne, tritt auf die Bundestagswahl. Vier Jahre des machtphantasierenden Wenn-ich-Bundeskanzler-wäre weichen für einige Wochen dem ohnmachtsverzweifelnden Wen-wähl-ich-bloß.

Davon will ich heute aber nicht sprechen. Denn als achtzigmillionster Teil des Souveräns gehöre ich zu denen, die theoretisch die Macht haben, direkt darüber zu entscheiden, wer regiert. Und in einer perfekten Demokratie sollten meine Vorschläge auch nicht unrealistischer sein als die aller anderen.

Ich will mich langsam herantasten. Ob die gegenwärtige Form der repräsentativen Demokratie optimal ist, sei dahingestellt. Meine Vorschläge sind fürs erste innerhalb dieses Systems gedacht. Neben Personen fallen mir aber durchaus einige Änderungen am Zuschnitt der Bundesministerien ein, die ich guthieße. Doch zuerst etwas Einfaches: Wen hätte ich gern als Regierungssprecher?

Der Regierungssprecher ist gewöhnlich ein Journalist und informiert die Medien über Verhandlungen und Beschlüsse der Regierung, soweit er informieren darf. Es ist eine trockene Arbeit, denn die großen Auftritte vor der breiten Öffentlichkeit sind für die Kabinettsmitglieder reserviert. Diese Handhabung hat den Vorteil, dass wir unsere Regierung direkt sehen und hören. Allerdings sehen wir sie nicht bei der Arbeit und hören wir nur sorgfältig zurechtgelegte Phrasen. Einen tatsächlichen Einblick gewinnen wir dadurch kaum. Ein Nachteil ist, dass diese Leute, statt im Fernsehen herumzuturnen, eigentlich an ihren Schreibtischen, Konferenztischen und Redepulten sitzen und stehen müssten. Sie müssten Akten studieren, sich zu Sachfragen informieren, Vorschläge einbringen, anhören, diskutieren, beschließen. Das ist viel Arbeit, und alle klagen über Schlafmangel. (Öffentlich geben sie damit an, wie wenig sie schlafen, aber mal ehrlich, vier Stunden pro Nacht sind nicht genug.) Da sollte man Zeit sparen, wo man kann, z.B. bei Fernsehauftritten und den damit verbundenen Fahrten, dem Schminken und Frisieren und dem Zurechtlegen von Phrasen.

Ich stelle mir deshalb als Regierungssprecher jemanden vor, der nicht unbedingt Journalist ist, aber der frei reden kann, auch mal frei von der Leber weg, der Schwung hat, Humor und ein gewisses Showtalent und der doch weiß, wovon er spricht. Erinnert sich noch jemand an Schmidt-Schnauze? Der hatte Talent und konnte sogar Klavier spielen, wenn ihm nichts mehr einfiel. Leider wurde er Bundeskanzler, und nun feiert er fröhliche Talkshow-Prominenz. Sein legitimer Nachfolger als Schnauze, Peer Steinbrück, war bis vor Kurzem mein Favorit für den Sprecherposten. Das ist vorbei, seit er seine Armee in Nachbarländer schicken will und mit der Ouagadougou-Bemerkung seinen tief verwurzelten Rassismus gezeigt hat. Frei von der Leber weg heißt ja nicht gleich beleidigend. Schade, künftig Schnauze halten, Schnauze junior.

Vielleicht wäre aber Udo Lindenberg sowieso viel besser. Der kann zwar nicht Klavier, dafür umso besser Schlagzeug und sogar so etwas Ähnliches wie Singen. Er hat das Herz auf dem rechten Fleck, großes Interesse an Politik, und wenn man ihn mal Reden lässt, hört er so schnell nicht wieder auf. Mindestens so viel sabbeln kann Karl Lagerfeld, der seinerseits nicht singt, aber sehr gut zeichnen kann. Beide sind außerdem so cool, wie es sich Tony Blair nicht cooler hätte träumen können. Ehrlich, dann wäre ich auch mal stolz auf Deutschland, wenn wir uns trauten, solche Regierungssprecher zu haben.

Für besonders haarige (nicht langhaarige) Fälle schlage ich zusätzlich den Pferdehändler Gregor Gysi vor. Wo man denkt, das kann keiner mehr rechtfertigen, redet der einen noch schwindelig. So einen braucht jede Regierung. Und er soll bei Frauen beliebt sein. Fehlt bloß noch eine große Sonnenbrille.



P.S. Vielleicht ist dies die Gelegenheit, eine meiner Lieblingsthesen anzubringen. Sind Lindenberg, Lagerfeld und Gysi schon einmal gleichzeitig am selben Ort gesehen worden? Diese Art zu sprechen ist ja sehr charakteristisch und bei allen dreien doch verblüffend ähnlich. Sind das wirklich drei verschiedene Personen? Oder ist das immer derselbe, der mal schnell hamburgisch, mal schnell berlinerisch spricht und mal ganz langsam irgendwas dazwischen, Hauptsache immer steil durch die Kurven?

 

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