16. Januar 2012

Ein Fall von Mission
 
Neulich bekam ich von einer Bekannten die Kopie eines Artikels aus der Zeit zugeschickt, in dem Ulrich Greiner unter der Überschrift "Wünschen hilft" über die Wirkmächtigkeit der Weihnachtsgeschichte schrieb. Meine Bekannte fragte, ob mir der Text auch gefalle, und das Folgende ist meine Antwort.

Ich empfand den Artikel aus der Zeit, den du mir geschickt hast und den du als textanalytisch bezeichnet hast, was er auch zu sein vorgibt, als missionarisch. Evangelisch-missionarisch, um genau zu sein.

Wie viele Missionare ist auch dieser Autor herzlich ungenau, handelt mit Halbwahrheiten und führt Trugschlüsse durch. Damit erinnert mich die christliche Mission immer an Verschwörungstheorien. Der Text beginnt mit den Krippenfiguren, die man überall auf den Weihnachtsmärkten sieht. Die habe ich auch gesehen, die volle Wahrheit ist aber, daß es auf den Weihnachtsmärkten vor allem Glühwein, Würstchen und Süßkram gibt. Als Symbol herrscht der Nikolaus vor, der mit der Weihnachtsgeschichte nichts zu tun hat. Zu ihm gehören auch die Rentiere und die Geschenke. Weder zu seiner noch zur Weihnachtsgeschichte gehören die allgegenwärtigen Tannen. Eher mit ihr assoziieren mag ich die Sterne und die Engel. Ja, und dann erst kommen die Krippendarstellungen. Der Text erwähnt an dieser Stelle auch zwei Lieder, darunter Kling, Glöckchen, klingelingeling, das von Geschenken erzählt und damit auch wieder zum Nikolaus gehört. Zu Weihnachten gibt es Geschenke ja erst, seit Luther versucht hat, den Nikolaustag abzuschaffen. Der Text aber will nicht davon überzeugen, was Weihnachten für ein starkes Fest ist, sondern wie wirkungsmächtig die ursprüngliche Geschichte.

Fortfahrend behauptet er, diese sei auch deshalb so beständig, weil sie handwerklich gelungen sei. Handwerklich gelungen und ähnlich alt ist auch Cäsars Gallischer Krieg. Davon ist aber selbst der gebildeten Öffentlichkeit allgemein nur bekannt, dass Gallien in drei Teile geteilt ist. Gutes Handwerk hilft einem Text also herzlich wenig, um überliefert zu werden. Außerdem durften die meiste Zeit über die meisten Christen den genauen Wortlaut der Bibeltexte gar nicht kennen.

Dann sagt der Text, die Geburt in der Weihnachtsgeschichte sei theologisch überhöht. Da stimme ich ihm zu, und das ist das, was mich an der Geschichte am stärksten abstößt. Diese theologische Überhöhung ist gerade kein Grund, weshalb die Weihnachtsgeschichte auch auf Leute wirken sollte, die an das Theologische in ihr nicht glauben. Trotzdem verwendet der Autor viel Platz darauf. Dieser Jubelausbruch sei ihm gegönnt, taugt aber nicht als Argument.

Dann sagt er, ohne Geheimnisse, die wir nicht erklären könnten, wäre unser Leben erbärmlich. Da tut er mir leid. Geheimnisse haben mit der Qualität des Lebens nicht das Geringste zu tun. Wer ein Leben ohne Geheimnisse erbärmlich nennt, ist offenbar zu reich, um Sättigung, Behausung, Zugang zu Ärzten und bürgerliche Freiheiten zu schätzen. Es kommt da aber auch der Eifer eines Luther durch, der neben den Juden und den hungerden Bauern auch die Philosophen verdammt hat. Mit vollem Recht, denn das Wissen steht dem Glauben diametral entgegen. Auch die Befreiung, die mit dem Wissen einhergeht, steht einem Glauben, dessen Erzählungen immer wieder, wie etwa die von Abraham und seinem Sohn, die Hiobs und auch die des zu Kreuzigenden, Unterwerfung propagieren, entgegen.

Gegen Ende sagt der Autor, jede Geburt zeuge von der Gewissheit, dass es weitergehe, nichts sei zu Ende. Aber alles mögliche ist zu Ende: mein Frühstück, meine Schulzeit, das Leben einiger Freunde. Auch das gesamte Weltgefüge wird, nach heutigem Stand der Wissenschaft, ein Ende nehmen. Das gibt einem, zugegeben, wenig Zuversicht, aber wer der Wahrheit ins Gesicht sieht, spürt die eigene Kraft. Menschen mit Kraft, solche die anpacken, werden gebraucht. Leute, die freundlich dasitzen und sagen, es wird schon werden, die selbst den Sterbenden noch gute Besserung wünschen, gibt es viel zu viele.

Der Text schließt mit der Behauptung, auch wer nicht an die christliche Botschaft glaube, müsse zugeben, die Weihnachtsgeschichte sei eine der besten Geschichten der Weltliteratur. Ich gebe das nicht zu. Im Gegenteil, meiner Meinung nach gibt es auch in der Bibel, ja, sogar im Lukasevangelium selbst bessere Geschichten. Und weil die Weihnachtsgeschichte so gut sei, sei sie seit zweitausend Jahren so erfolgreich. So bringt der Text auch in seinem letzten Satz noch eine Viertelwahrheit unter. Weihnachten ist erst seit knapp zweihundert Jahren der Familienfestschlager, als den wir es heute erleben, und es liegt auch nicht an der Weihnachtserzählung in der Bibel. Vielmehr ist es grundsätzlich eine gute Idee, in der dunkelsten Zeit des Jahres viele Lichter anzuzünden. Es ist grundsätzlich eine gute Idee, bestimmte Gewürze einigen Wochen des Jahres vorzubehalten und dadurch eine Stimmung des Kostbaren hervorzurufen. Es ist aber vor allem eine gute Idee des Bürgertums, die Augen der Kinder mit Geschenken zum Leuchten zu bringen, einmal im Jahr alle Kinderaugen gleichzeitig. Dass es dazu auch noch eine hübsche Geschichte gibt, nämlich die vom kinderfreundlichen Bischof Nikolaus, hilft, ist aber nicht notwendig, wie man daran erkennt, dass sie auf die Darstellung eines roten Mantels reduziert worden ist.

Meine Kinder lassen ihre Augen übrigens schon lange nicht mehr leuchten, übersättigt wie sie durch den Dauerkonsum sind. Für meine Familie ist Weihnachten vor allem eine Belastung, zumal genau in der Adventszeit alle möglichen Leute alles Mögliche wollen. Amtsvorgänge müssen abgeschlossen werden, eilige Aufträge werden erteilt, weil schnell noch die Budgets für das laufende Jahr ausgeschöpft werden sollen, und nicht zuletzt häufen sich schulische Klassenarbeiten im Dezember wie in keinem anderen Monat.

Ich habe oben gesagt, der Text, den du mir geschickt hast, sei evangelisch-missionarisch. Ein Katholik kann einfach sagen, wenn du nicht an Gott glaubst, kommst du in die Hölle. Der Evangelische aber kann nicht in Ruhe leben, wenn einer nicht glaubt wie er. Er muss immer zu dem Schluß kommen, na ja, letztlich glaubt der Ungläubige ja doch, denn in Gott sind wir alle gleich.

Ich lehne das strikt ab.

Deinen Brief mit der Formulierung "dir auch?", empfand ich auch als missionarisch. Ich bin da sehr hellhörig. Das bewahrt mich davor, mich später sehr ärgern zu müssen. Ich lehne jede evangelische Mission ab. Als der katholische Tintenpatronenauffüller Théodor sich darüber entsetzte, daß ich nicht an Zauberei und Wunder glaube, war ich neugierig darauf, wie der katholische Glaube in Togo praktiziert wird. Das nächste Mal möchte ich aber auch von ihm lieber nur Tinte haben. Die einzigen, die mich wirklich missionieren dürfen, sind die Zeugen Jehovas. Da kommt eine hübsche Frau, die jedesmal eine andere Begleitung mitbringt, mir ein wenig von ihrem Glauben erzählt und etwas zu lesen oder Altpapier da lässt, die es aber hinnimmt, dass ich ihr Zeug für Humbug halte. Vor allem aber dürfen sie bei mir missionieren, weil ich sehe, wie glücklich es sie macht, nicht abgewiesen zu werden.

 

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