5. November 2013

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Zurzeit liegen auf meinem Plattenteller, oder vielmehr in meinem Plattenschubfach, gut dreißig Jahre alte Live-Aufnahmen von einigen Mädchen, die damals die größte Rock-’n’-Roll-Band der Welt darstellten. (Gut, es gab auch noch Led Zeppelin und Wishbone Ash, aber Scherz beiseite.) Musikalisch ist es das hilflose Rumgerocke von älteren Jungs, die ihren Superstatus von jüngeren Jungs bedroht sehen. Die Jüngeren sind mit ihrem Disco funkier, als es die Mädchen gewohnt sind, und mit ihrem Punk böser, als es die Mädchen jemals waren. Deren Antwort versucht, beides gleichzeitig mit der eigenen Herkunft zu verbinden, und kann nicht funktionieren.

Eines der Mädchen scheint mir eine moderne Verkörperung von Huckleberry Finn. Das kann ich schlecht erklären. Vielleicht sehe ich bei beiden eine Mischung aus Abenteuerlust und Verlorenheit. Bei beiden spielt Trunksucht eine große Rolle. Und beiden könnte man eine Garnrolle zuwerfen, um zu sehen, ob sie wirklich Mädchen sind. Die Verkörperung spielt meistens Gitarre mit der Dynamik einer Eisenbahn, aber das kann man hier schlecht hören.

Dem entsprechend wäre die Sängerin Tom Sawyer. Aber ehe ich Vergleiche an den Haaren herbeiziehe, sage ich lieber, ihre Stimme ist mir wie die eines Familienmitglieds. Sobald sie die Bühne betritt, oder den Klangraum, denn ich sehe ja nichts vom Geschehen, die dazu gehörige DVD steckt noch in der Hülle, und ihr typisches „Owlrahd“ quakt, das es in der englischen Sprachgemeinschaft kein zweites Mal gibt, bekomme ich ein heimatliches Gefühl.

Ich war, als die Aufnahmen gemacht wurden, fünfzehn, mein großer Bruder hatte alle Platten der Band, und ich konnte mich an keine Zeit ohne sie erinnern. Ihr Sound ist für mich der Urklang von Musik, der eigentliche Rhythmus, die eigentlichen Harmonien. Alles, was ich an Musik mag, geht von Honky Tonk Women aus vorwärts, rückwärts und seitwärts. Als hätten diese Mädchen bei uns gewohnt, ist mir die Sängerin mindestens so nah wie ein Onkel. Dieses Gefühl ist jetzt, da ich jene Platte höre, sofort wieder da.

Warum der Marmeladenmann mein Bruder ist, erkläre ich ein anderes Mal.

 

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